Schottenring
Wien, Vienna 1010

Tchi. Sterben für eine gute Geschichte
Tchi entstammen der lausigen Mittelgroßstadt Braunschweig, dort wo Durchschnittlichkeit und Langeweile diejenigen Heranwachsenden, die sich nicht nur für Verblödungsfernsehen oder schlecht sitzende Kleidung für ein halbes Monatsgehalt interessieren, regelrecht in die Kreativität gezwungen
werden. Gegründet vor über zehn Jahren, besteht der Nukleus der Combo nach wie vor aus dem Schlagzeuggott, Graphikdesigner und Gründungsmitglied Dennis Frank sowie aus Heine und Jan. In jenem Jahrzehnt hat sich an dieser Konstellation nicht viel (nämlich gar nichts) geändert, doch die Schrammelschülercombo von einst hat sich in Hundertmeilenstiefeln zu einer der eigenständigsten Bands deutscher Zunge entwickelt. Das sei zunächst als
Faktum zu nehmen. „stehen stolpern“ ist nach dem 2002 erschienenen Debut „Auf den Point“ und zwei eingeschobenen Split-EPs das zweite lange Album. War „Auf den Point“
noch geprägt von der nervösen, überschwänglichen Punkgesten im Sinne der Kolossalen Jugend, so präsentiert sich die Band heute so entspannt wie nie zuvor. Als sei man von jener Erkenntnis erhellt, daß nichts auf diesem Erdenrund es wert ist, den Schritt zu beschleunigen, lassen sich die Lieder viel Zeit, um sich zu entfalten, was die Halbwertszeit dieses Albums enorm
erhöht. Vielschichtig und schlau sind die Lieder arrangiert, ohne jemals wie wirres Flickwerk zu erscheinen. Es braucht zugegebenermaßen Zeit, Stücke wie „45“ oder „Streichholz“ zur Gänze zu durchschauen und als geniale, grundmelancholische Popsongs zu begreifen, doch ist es erst soweit, dürfte sich bei vielen jener Effekt einstellen, der den Verfasser dieser Zeilen soeben ereilt: an beispielsweise das Meisterwerk „Antiquariat“ nur zu denken und von einer Gänsehaut durchschauert zu werden. Selten wird auf Verzerrer getreten, oftmals bedient man sich keiner herkömmlichen Akkorde, Heines Baß hat weit mehr als nur begleitende Funktion und Schlagzeuger Dennis Frank bestreitet sein täglich Trommelwerk auf einem weitestmöglich reduzierten Trommelset. Der Abkehr von der Atemlosigkeit früherer Tage hat Tobias Siebert ein äußerst adäquates, warmes Soundgewand verpaßt. Textlich ist „stehen stolpern“ auf den ersten Blick von einer gewissen Finsternis umgeben, doch dies dürfte der allzu menschlichen Eigenschaft geschuldet sein, zunächst das Fahle und Graue zu sehen. Fernab von jeder halbgaren Großmäuligkeit und gemeinen Verbrüderungsgesten ist „Hoffnung“ in
Jans Texten zwar ein Wort unter vielen (weitere wären etwa „Regen“, „wohin?“), doch kommt ihm immer eine zentrale Bedeutung zu, ohne daß irgendwo fauliger Zweckoptimismus die Zeilen verkleben würde. Ohne sich auch nur ansatzweise in gesellschaftskritischen Hohlphrasen zu ergehen, kommt jedoch stets zur Sprache, wie sich Privat und Allgemein überschneiden, wie stets das Wort vom Verdienen über allem hängt, was sich menschliches Beisammensein nennt. Werden die Texte äußerst persönlich, ist hingegen nie berechnende Gefühlsduselei zu beklagen. Das, was Jan singt, dürfte zum Besten gehören, was momentan in dieser Sprache gesungen wird. Dennoch sind die Lieder weit mehr als nur Stützkörper für die Texte, letztenendes handelt es sich bei Tchi schlicht und ergreifend in Gänze um eine der besten Bands dieser Tage – dies zu sagen sei mir, erlaubt, der ich jedwede Überschwänglichkeit gerade in Infotexten zu vermeiden suche. Es ist aber eben schlicht und ergreifend nichts als die Wahrheit.

Official Website: http://flex.at/index.php?id=41&tx_flexevents_pi1%5Bsingleevent%5D=679

Added by wiesengrund on November 25, 2006

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